WUFI® Pro: Produktentwicklungen sind häufig kontinuierliche Prozesse, in denen vorhandene Bauprodukte schrittweise verbessert werden. Ein Beispiel dafür ist der über Jahre verbesserte Wärmedurchlasswiderstand von monolithischen Wänden durch die Optimierung der Mauersteine sowie des Mörtels. Demgegenüber steht die Entwicklung völlig neuer Materialien, wobei nur begrenzt auf bereits vorhandene Erfahrungen und Kenntnisse zurückgegriffen werden kann. Ihnen geht meist eine Idee voraus, für deren praktische Umsetzung eine ganze Reihe von Hindernissen überwunden werden muss.
Ein Beispiel für solch eine Entwicklung ist die feuchteadaptive Dampfbremse, die sich seit ihrer Markteinführung 1997 sehr schnell durchgesetzt hat.
Die Idee
Zahlreiche feuchtebedingte Bauschäden in der Vergangenheit haben gezeigt, dass es fast unmöglich ist, ein Bauteil dauerhaft wasser- und dampfdicht auszuführen. Deshalb legt der moderne Feuchteschutz großen Wert auf ein ausreichendes Trocknungspotential von Bauteilen. Eine begrenzte Feuchteaufnahme durch Regen oder Tauwasser wird als unschädlich angesehen, solange zwischenzeitlich Trocknungsprozesse für eine positive Feuchtebilanz sorgen, d.h. solange es zu keiner langfristigen Feuchteakkumulation kommt. Besonders traditionelle Wand- und Dachkonstruktionen, wie z.B. Fachwerkwände oder Steildächer, die eine dampfdichte Vordeckung (Dachpappe) besitzen sind darauf angewiesen, zur Raumseite hin austrocknen zu können. Werden die erforderlichen Trocknungsprozesse durch Dampfsperren verhindert, können kleine Ausführungsmängel rasch zu großen Feuchteschäden führen.
Um diese Schäden zu vermeiden, machte sich Dr. Hartwig Künzel vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP an die Entwicklung einer neuartigen Dampfbremse, die ein gezieltes Feuchtemanagement erlaubt. Eine entsprechende Dampfbremse muss zum einen dicht genug sein, um einen übermäßigen Feuchteeintrag durch Kondensation zu vermeiden, zum anderen jedoch diffusionsoffen genug, um eine ausreichende Austrocknung der eingedrungenen Feuchte zu ermöglichen.
Erste Schritte
Zur Optimierung der Dampfdurchlässigkeit der Dampfbremse haben Dr. Künzel und seine Mitarbeiter zunächst das Feuchteverhalten bestimmter Konstruktionen mit WUFI® Pro, im konkretem Fall das von Fachwerkwänden und Dachkonstruktionen unter mitteleuropäischen Klimabedingungen, simuliert. Dabei wurde deutlich, dass eine Dampfbremse mit einem sd-Wert von 2 bis 5 m den besten Kompromiss bildet zwischen den Anforderungen, Feuchteeinträge möglichst zu unterbinden und dabei trotzdem eine Austrocknung zu ermöglichen. Untersuchungen zeigten, dass das Austrockungspotential der beschriebenen Dampfbremse gegenüber klassischen Dampfbremsen zwar deutlich besser war, für die hier betrachteten Konstruktionen dennoch nicht ausreichte, um eine Schadensfreiheit zu gewährleisten.
Die Fragestellung für das Entwicklerteam lautete deshalb: Wie können die Dampfdiffusionskennwerte gestaltet werden, um das Eindringen von Feuchtigkeit in die Konstruktion weitestgehend zu vermeiden und dabei gleichzeitig das Austrockungspotential im Sommer zu verbessern? Erreicht würde dies durch die Erhöhung der Durchlässigkeit der Dampfbremse in der Verdunstungsperiode (Sommer), während sie in der Kondensationsperiode (Winter) möglichst niedrig bleiben müsste. Die Durchlässigkeit sollte also variabel sein wobei diese Variabilität wiederum eine Funktion eines Kennwertes sein muss, der sich zwischen Verdunstungs- und Kondensationsperiode deutlich verändert. Die relative Luftfeuchtigkeit auf den zwei Seiten der Dampfbremse ist ein solcher Kennwert.
Die Umsetzung
Auf Grundlage zahlreicher Berechnungen sowie ihrer Überlegungen haben die Wissenschaftler um Dr. Künzel ein virtuelles Material entwickelt, das in der Sommerzeit 10 Mal durchlässiger ist als in der Winterzeit. Die folgenden Simulationen mit WUFI® Pro zeigten, dass eine derartige Dampfbremse eine gute Lösung für das Feuchtemanagement der betrachteten Anwendungen darstellen würde. Nun galt es, eine Folie zu finden oder gegebenenfalls zu entwickeln, deren Materialkennwerte den simulierten entsprachen.
Die Forscher haben verschiedene Polymerfolien im Labor getestet, bevor ihre Wahl auf eine Polyamid-Folie (PA-Folie) fiel, deren feuchteabhängige Durchlässigkeit der der virtuellen Dampfbremse entsprach. PA-Folien wurden bis dato vor allem als Bratfolien und in der Lebensmittelverpackung eingesetzt, da sie hoch temperaturbeständig und aromadicht sind. Zudem haben sie gute mechanische Eigenschaften und lassen sich einfach bedrucken und verkleben. Da die experimentellen Untersuchungen die positiven Ergebnisse der vorangegangenen Simulation bestätigten, konnte die ausgewählte Folie als feuchteadaptive Dampfbremse sehr erfolgreich auf den Markt eingeführt werden.